Projekt ERDZEICHEN (soil and earth)
Dr. Karin Lina Adam, Sandrino Sandinista Sander, Blaubach 5, 34286
Spangenberg
Ganz ohne uns entstand das, was wir die Erde nennen. In unvorstellbaren
Zeiträumen, Jahrmillionen, Jahrmilliarden der Erdgeschichte entstanden immer
neue Landschaften, entwickelten sich immer wieder neue Tiere und Pflanzen.
Durch die Kräfte aus dem Erdinneren und die Formung der Erdrinde von außen
formten sich die Gesteine. Mit organischen Resten sind sie Zeugen längst
vergangenen Lebens. Der Prozess von Druck aus dem Inneren und Erosion
aufgrund extremer Witterungsverhältnisse wiederholte sich immer und immer
wieder, bis die Sedimentgesteine und Erden entstanden, die wir heute an der
Erdoberfläche vorfinden.
Die Erdmalereien auf großformatigen Leinwänden der beiden Künstler Karin
Lina Adam und Sandrino Sandinista Sander sind inspiriert von
geologisch-paläontologischem sowie ethnologischem Interesse und der
Leidenschaft des Reisens in ferne Länder und Landschaften.
Mit den in den Bildern angewendeten Techniken werden zum Teil
geomorphologisch wirksame Kräfte nachvollzogen, die eine abstrakte
organische Formgebung ermöglichen.
Im Gestaltungsprozess tauchen immer wieder Fragen auf – nach der
Beschaffenheit und Zusammensetzung spezieller Erden, der Herkunft ihrer
Farben, der Deutungsmöglichkeit von scheinbar zufällig sich auf der Leinwand
manifestierenden Strukturen. In diesem Kontext erscheint es keineswegs
zufällig, dass sich Kunst und Wissenschaft auf der Suche nach Spuren
begegnen, um gemeinsam „die Decke der Erscheinungen“ zu lüften.
Neben naturwissenschaftlichen Motivationen spielen experimentell malerisch
formulierte Fragen zum Kulturprozess eine wichtige Rolle. Die
Auseinandersetzung mit Zerfall und Modifikation rein urbaner Strukturen
lässt einen utopischen Entwurf neuer urban kultivierter „Ruralität“
anklingen, der auf Zukunftsmöglichkeiten verweist, die das Zerwürfnis
zwischen Mensch und Natur allmählich aufheben.
Die Reflexion des abendländisch geprägten Naturverständnisses beinhaltet
auch die Thematisierung des Prozesses der Umformung der Natur- in
Kulturlandschaft. Organische bis amorphe Strukturen stehen den linearen
gegenüber.
Der Schaffensprozess eines jeden Bildes ist anders, z.T. verspielt figürlich
oder impulsiv wie Actionpainting oder ruhig strukturierend im reflexiven
Prozess. Mensch und Erde scheinen hier in einen intensiven Dialog
einzutreten. Die Bilder dokumentieren häufig intuitive Vorgänge, erinnern an
die poetische Kraft der Bildsprache von Naturvölkern, z. T. ist ihre
Formgebung vegetabil-floral – und schließlich lässt sich eine phantasievolle
Annäherung an naturwissenschaftliche strukturale Einblicke erkennen.
Auf angefeuchteter Leinwand entfalten die Erden Abdrücke, natürliche Linien
und warme Farben.
Formung der Abriebe und Abdrücke mit gezielten Linien führt in einigen der
Arbeiten zu abstrakten Farblandschaften. Andere Werke weisen eine strengere
Linienführung auf und erreichen durch das Herausarbeiten des warmen Lichts
der Erden und die Schattierung durch Pflanzenöle eine fast schon mystische
Inszenierung, die bewusst gesellschaftlicher Kälte und ökonomisch
unterwanderten Wärmereflexen entgegengesetzt wird.
Die Gestaltung von Erdbildern beschäftigt Sandrino Sandinista Sander und
Karin Lina Adam seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten. Seit etwa acht Jahren
bezieht insbesondere Sandrino.S.Sander andere Künstler und Künstlerinnen
sowie Kunstinteressierte in die Faszination und die kreativen Erlebnisse mit
Erden und Orten in seiner Erdmalschule ein.
Etwa seit vier Jahren tauchen die beiden Künstler sozusagen in noch tiefere
Erdschichten ein: die Sphäre der Gesteine. Die Freundschaft und kreative
Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Reitner, der an der Universität Göttingen lehrt
und in deren geowissenschaftlichem Zentrum ein Museum und eine umfangreiche
Gesteinssammlung eingerichtet hat, führten zum Projekt „GeoTräume“, in dem
der Dialog von artes et disciplinae (Kunst und Wissenschaft), hier
Erdmalerei bzw. Malerei mit Gesteinsmehl und Geowissenschaften – neue Räume
zum Erkennen der Natur eröffnet.
Seit dem Jahr 2000 besteht das „Millenium-Projekt“ ARS NATURA, Kunst am
Fernwanderweg, das, wenn es fertig gestellt ist, fünf Bundesländer verbinden
wird. Als Initiatoren und Kuratoren des Kunstweges, der momentan 150
Kilometer umfasst, streben Karin Lina Adam und Sandrino Sandinista Sander
auch hier den behutsamen Dialog mit der uns zugänglichen Natur an.
Natur wird von den beiden Künstlern in ihren Projekten aber nicht als
„draußen auf dem Lande, in den Wäldern und Feldern“ aufgefasst; vielmehr
sind sie der Überzeugung, dass die hierarchisierende Unterscheidung von
Mensch und Natur abgeschafft werden müsse.